Besuch in den Harmonium Werkstätten Delhis

Am zweiten Tag in Delhi geht es am frühen Morgen los und mein indischer Freund Sandeep Ji fährt mit mir auf seinem Motorrad durch das Gewühl des delhischen Morgenverkehrs. Ich muss zugeben, dass ich mich auf der halsbrecherischen Fahrt nicht wirklich entspannt habe und es als äusserst gefährlich empfand, wenn ich mit dem Knie wieder mal ein Auto streifte. Wären wir aber mit dem Auto gefahren, wäre die Fahrt um Stunden verlängert worden. Spannend ist auch die indische Idee, dass nur der Fahrer einen Helm tragen sollte, da der hinten sitzende nicht wirklich gefährdet sei. Na ja, ich bin freiwillig hier und da kein zweiter Helm vorhanden ist, erübrigt sich ein wenn und aber. Auf Fotos während der Fahrt habe ich, wie du dir bestimmt vorstellen kannst, verzichtet. Die Fahrt dauerte ca. 20 Minuten und führte uns durch Strassen, die wir in der Schweiz nur mit dem 4 Rad angetriebenen Jeep bewältigen. Tiefe Schlaglöcher, kleine Seen, ganz enge Durchgänge, hohe Schwellen, brennender Plastik, Kühe, Hunde, Kamele, Pferde und immer wieder mal eine Fahrradriksha, die mit 5 Meter langen Eisenstangen beladen in aller Ruhe, quer zum restlichen Verkehr, die Strasse überquerte. Ein ganz normaler Morgen auf den indischen, nein eben delhischen Strassen. In Bombay sei das gaaanz anders ;o)

Endlich halten wir in einer Seitengasse und betreten durch eine kleine Türe ein Gebäude. Ich kann es nicht Haus nennen, da ganz Delhi irgendwie planlos miteinander verbunden ist. Stolz werden mir ein paar Lagerräume, die bis oben mit Verpackungsmaterial gefüllt sind präsentiert. Es wurde mir schon im Voraus gesagt, dass es wahrscheinlich ganz anders sei als ich erwarte. Wir steigen eine steile Treppe herauf und kommen in weitere Räume, in denen sich einige Mitarbeiter aufhalten. Ich werde allen vorgestellt und bekomme zuerst einmal Tee und Kekse. Alle schauen mich an und keiner arbeitet. Also stelle ich meine erste Frage und will wissen, wer den nun von ihnen Harmonien herstellt? Sandeep Ji ist ja der Chef, also beginnt er mit der offiziellen Führung, die bis spät am Abend andauern wird. Jeder Mitarbeiter hat ein spezielles Fachgebiet, dann gibt es einige Allrounder und die Meister ihres Faches. Zuerst darf ich mich mit einem jungen, begnadeten Harmoniumstimmer hinsetzen und bekomme von ihm eine Einführung in die Kunst des Stimmens. Ich bin enorm beeindruckt, wie er mit dem Stimmgerät nur das tiefe C stimmt und den ganzen Rest des Harmoniums von Ohr stimmt. Skeptisch wie ich nun mal bin, begleite ich die ganze Arbeit mit dem Stimmgerät in meiner Hand und einfach jeder Ton stimmt bis ins letzte Detail. So lerne ich auch endlich die geeigneten Werkzeuge für diese Arbeit kennen und erhalte auch gleich ein Set, um die Arbeit dann zu Hause weiterführen zu können. Nach ein paar weiteren Stunden Harmonien zerlegen, warten und weitere Tricks lernen ist Pause angesagt. Natürlich nur für die Mitarbeiter, den ich muss/ darf mit Sandeep Ji wieder zu ihm nach Hause. Seine Frau hat gekocht und erwartet uns zum z’ Mittag. Es gibt Palak Paneer, Dhal und Roti. Ich wäre dann eigentlich bereit für ein Mittagsschläfchen gewesen, aber nein, es stehen noch drei weitere Harmonium Werkstätten auf dem heutigen Programm. Es ist Sandeep Ji ganz wichtig, dass ich die hintersten Hintergründe der Harmoniumherstellung verstehen lerne. Seine Grossvater war schon ein bekannter Harmonium Bauer und hat das Wissen an seine Söhne weiter gegeben.

Also besuchen wir als nächstes die Harmonium Werkstatt von Mama Ji. So wie ich das verstanden habe, ist das der Vater seiner Frau. Wieder mit dem Motorrad durch die dreckigen Gassen, ein weitere mysteriöser Hinterhof, waschende Frauen, spielende Kinder und dann im ersten Stock ein Mann am Harmoniumkörper schleifen, einer am Leder stanzen, ein weiterer am Tasten herstellen, einer am Blasebalg kleben, .... Eine richtige Werkstatt nach meiner Vorstellung. Der älteste ist Mama Ji. Ich begrüsse ihn respektvoll auf indische Art, so wie man einen Meister begrüsst, lege meine Hände auf seine Füsse und führe diese zu meinem Herzen. Er nimmt meine Hände in die seinen und strahlt mich an. Dann wird mir jeder Mitarbeiter vorgestellt, natürlich immer auch ob er bereits verheiratet sei und ob er scheu sei und natürlich, wie er seine Arbeit ausführe. Wieviel und wie lange er arbeite und wie oft er seine Eltern und Familie besuchen gehe. Ich verteile Laddhu, köstliche Süssigkeiten an alle und jeder zeigt mir, was genau er gerade am arbeiten ist. Viel Gelächter und natürlich dürfen die Gruppenfotos nicht fehlen.

Weiter geht es zu einem ehemaligen Schüler von Mama Ji, der mit dessen Segen sich selbstständig gemacht hat. Auch dort werden wir herzlich empfangen, Tee und Guezli gereicht, jeder Mitarbeiter vorgestellt und Gruppenfotos gemacht. Ich gehe jetzt nicht nochmals auf weitere Details ein, denn die Fahrt ging noch zu einer weiteren Werstätte, in der eher günstigere Harmonien hergestellt werden. Das gleiche Prozeedere folgt, nur dieses Mal erfahre ich mehr über die Auftraggeber dieser Werkstatt. Es ist vor allem einer der im Westen bekannten Harmonium Verkäufer, den ich jetzt, fairer Weise, hier nicht nennen möchte. Ich habe früher bei dieser Firma bestellt, habe die Zusammenarbeit aber beendet, nachdem die Instrumente immer von wechselhafter Qualität waren. Genau das ist der Punkt, jede Lieferung hatte ein paar gute Harmonien und über die Hälfte davon waren von schlechterer Qualität. So bin ich nun sehr zufrieden, seit ich mit Sandeep Ji zusammen arbeite.

Endlich Feierabend und zurück zum essen bei Sandeep Jis Frau. Spielen mit seinen Kindern und dann schlafen.
 

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